Erfahrungsbericht L. P.

Triggerwarnung: Bei diesem Betroffenenbericht kommen vor:
Saugglocke, Kristellerhandgriff, Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz, Senkungsbeschwerden, Analfissuren, Levator-Teilavulsion, reaktive Belastungsstörung, negative Auswirkung auf Partnerschaft, Familienleben, Berufsleben, Alltag, Sexualität. 

Mein Mann und ich wurden spät Eltern. Ich gehörte also zu den älteren Erstgebärenden.

Die erste Geburt war wegen einer Beckenendlage ein geplanter Kaiserschnitt. Wir wurden als Eltern über alle Risiken korrekt informiert und hatten das Aufklärungsformular zu unterschreiben. Es war eine gute Geburt und ein sehr gutes Erlebnis. Sowohl unser Kind als auch ich gingen kerngesund aus der Geburt hervor. Die anfänglichen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen waren bald Vergangenheit, und nach ein paar Wochen merkte ich bis auf eine ein paar Monate andauernde leicht verminderte Empfindung in der Narbengegend nichts mehr von der Schwangerschaft und der Geburt.

Das zweite Kind lag in der korrekten Position. Somit war kein geplanter Kaiserschnitt mehr empfohlen worden. Wir wurden einzig über ein leicht erhöhtes Risiko für einen Gebärmutterriss informiert, gleichzeitig aber auch beruhigt, dass ja alles Profis in der Geburtshilfe seien und man eine solche Gefahr rechtzeitig erkennen würde.

Grundsätzlich hätte ich sehr gerne eine zweite Kaiserschnittgeburt geplant. Da allerdings in all den Vorbereitungen (Vorsorgetermine, Geburtsvorbereitungskurs, schriftlichen Unterlagen, Informationen in Büchern etc.) kein einziges Mal etwas über Risiken einer natürlichen Geburt thematisiert war – solche also nicht zu existieren schienen – stellte ich mich auf eine kommende natürliche Geburt ein. Auch nach mehrmaligen Nachfragen, ob denn etwas gegen eine natürliche Geburt sprechen könnte, wurde ich von allen Fachpersonen beruhigt und für eine solche motiviert. Nicht einmal der im Ultraschall gemessene grosse Kopfumfang hielt die Geburtshelfenden davon ab, mich zu warnen, im Gegenteil: Meine Bedenken, dass ich das Kind vielleicht nicht “raus bringe”, wurden mit einem sympathischen, lockeren Lachen weggeblasen.

Zudem war das erste Kind gerade in einer sehr Bewegungs-aktiven Phase. Da im Geburtsvorbereitungskurs betont wurde, dass man nach einer natürlichen Geburt sofort wieder auf den Beinen und mobil sei, was nach einem KS nicht der Fall ist, schien mir eine natürliche Geburt sehr vernünftig zu sein.

So ging ich also voller Vertrauen und noch kerngesund in diese Geburt.

Die Geburt ging nicht gut voran. Ich hatte mehrtägige frustrane Wehen, der Muttermund öffnete sich viel zu langsam. Nach dreieinhalb Tagen war ich erschöpft, konnte diese schrecklichen Wehen nicht mehr ertragen und verlangte nach einem Kaiserschnitt. Ich bat meinen Mann noch, mich beim Kommunizieren des Wunsches zu unterstützen, da ich mich darauf eingestellt hatte, dass die Hebamme mir diesen ausreden möchte.

Ich sollte recht behalten. Kaum war der Wunsch geäussert, bekam die Hebamme einen genervten, frustrierten Ausdruck. Sie meinte, warum ich denn jetzt einen Kaiserschnitt wolle. Nun musste ich also – in der so intensiven Wehensituation – noch mit der Hebamme diskutieren. 

Sie meinte dann zwar, ich könne natürlich entscheiden, wie ich möchte, wollte aber trotzdem nochmals nachschauen, ob sich der Muttermund nun weiter geöffnet hätte. Erschöpft von den Wehen und zu kraftlos für weitere Diskussionen liess ich das zu.

Als die Hebamme feststellte, dass sich der Muttermund weiter geöffnet hatte, wurde ihre Laune schlagartig besser, und sie rief motiviert und motivierend: “Ah, da hat sich aber etwas getan!” 

Sie schlug nun noch die Möglichkeit mit einer PDA vor. Da ich schon soweit war in der Geburt, einzig diese schrecklichen Wehenschmerzen los sein wollte und das Versprechen nach sofortiger Mobilität vor Augen hatte, erschien mir und auch meinem Mann dieser Vorschlag vernünftig zu sein.

So verliefen die nächsten Stunden viel schmerzärmer. Als es dann dem Ende der Geburt zuging, kam die Ärztin hinzu. Sie hatte die Saugglocke dabei, meinte aber beruhigend, dass man diese ja dann meistens doch nicht brauche.

Diese Beruhigung hätte sie sich ersparen können. Mir machte die Saugglocke keine Angst. Wir hatten ja im Geburtsvorbereitungskurs gehört, dass man ab und zu diese Hilfe zur Hand nehmen, sich aber nicht sorgen müsse. Man würde das Kind sanft aus dem Körper ziehen. Mehr wurde dazu nicht gesagt.

Das Kind wurde schlussendlich per Saugglocke, Dammschnitt und Kristellerhandgriff auf die Welt geholt (wobei der Begriff „geholt“ sehr untertrieben ist… Es musste von Seite der Geburtshelfenden viel Kraft angewendet werden). Das alles habe ich aber tatsächlich nicht als traumatisch erlebt. Ich hatte kaum Schmerzen und war dankbar und froh, dass man meinem Kind und mir “geholfen” hat.

Nur: Was war das Resultat dieser “Hilfe”?

Erst hat man mich 45 Minuten lang zusammengenäht mit der anschliessenden Beruhigung, dass – trotz vielen Rissen – alles wieder gut komme.

Als der Katheter gezogen wurde, mir der Urin nur so rauslief und ich komplett geschockt und aufgelöst fragte, was denn los sei, beruhigte man mich, dass das viele Frauen hätten, das komme schon wieder. 

So beruhigte man – nur schon auf die Harninkontinenz bezogen – noch Wochen und Monate.

Gleichzeitig klappte es mit der Darmentleerung nicht mehr. Es wurde mir angeraten, mich gesund zu ernähren (obwohl ich das bereits tat), es wurde eine einmalige Gabe Flüssigkeit in einem Miniatur-Becherchen verabreicht (mit der Betonung, das sei etwas Natürliches), und dann wurde mir noch ein Glycerin-Zäpfchen in den Enddarm eingeführt. Auf Nachfrage, ob ich solche Zäpfchen für den Beginn noch anwenden könnte, bis sich alles reguliert hätte, wurde mir von der Hebamme gesagt, dass das ja wohl nicht das Ziel sein könne, dass ich abhängig werde von solchen Sachen.

Nach ein paar Tagen ging ich also nach Hause; total verunsichert, geschockt, orientierungslos, aber mit dem Versprechen der Geburtshelfenden, dass alles “wieder komme”. 

Dieses Versprechen bewahrheitete sich ganz und gar nicht.

Die Harninkontinenz blieb, trotz intensivem Beckenbodentraining. Nach der massiven Verstopfung (so etwas hatte ich in meinem Leben noch nie), dem Beginn von bis heute andauernden Analfissur-Intervallen (ich wusste vor der Geburt nicht, dass es so etwas gibt), kam eine ausgeprägte Darminkontinenz hinzu (bis dahin noch nie gehört, dass eine Geburt ursächlich für eine solche Beschwerde ist). Die Scheide ist viel zu weit, verformt, vernarbt und es hat sich wenige Wochen nach der Geburt ein Knollen vor dem Vaginaeingang gebildet (ein Urethrawulst), der ab und an an den Unterhosen scheuert.

Die Senkungsbeschwerden tun ihr Weiteres dazu, dass der Alltag sehr beschwerlich geworden ist. Missempfindung, Schmerzen, einschlafende Körperregionen im Bereich des Beckenbodens gehören zum Alltag.

Dass all diese Symptome sehr negative Auswirkungen auf meine persönliche Sexualität und genauso auf die Sexualität mit meinem Mann hat, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern.

Bis heute habe ich nur für einige Beschwerden eine klare Diagnose, und auch diese zu erhalten erforderten einen jahrelangen Marathon an Arztbesuchen an verschiedenen Stellen.

Die ausgeprägte Harnbelastungsinkontinenz wurde als erstes erkannt und benannt und konnte – nach jahrelangem Therapieversuch mit konservativen Mitteln – mit einem TVT-Band stark reduziert werden. Die Vorteile überwogen bis jetzt die Nebenwirkungen dieses Eingriffs deutlich. Leider hat sich erst neulich über dem Band eine Fibrose gebildet. Das Tragen der Pessare hat vermutlich zu dieser verhärteten Stelle geführt. Nun ist die Pessartherapie mit den meisten Produkten unmöglich, aktuell kann nur ein nicht sonderlich gut stützendes Exemplar platziert werden. Eine allfällige chirurgische Entfernung, bei welcher ein Teil des Netzes herausgenommen werden müsste, würde voraussichtlich wieder zur Inkontinenz führen. Es bleibt also wieder ein Bangen, wie es weitergehen wird.

Die Stuhlinkontinenz konnte kaum gelindert werden, trotz Therapie mit einem implantierten Darmschrittmacher. Die Analfissur-Häufigkeit und -Stärke wird mit der täglichen Einnahme eines Abführmittels so tief wie möglich gehalten. Für die Linderung der Senkungsbeschwerden bin ich auf das Pessar angewiesen. Die Schmerzen in der Region der Dammnaht kann ich nur so gut wie möglich zu verhindern versuchen, indem ich nicht mehr Rad fahre, möglichst weite Unterhosen und locker sitzende Hosen trage und generell Reibung und Druck auf diese Stelle verhindere. Gegen die klar zu lokalisierenden Schmerzen durch den beidseitigen, ausgedehnten Levator-Teilabriss – für dessen Diagnose ich 10 Jahre warten musste – konnte ich noch nichts klar Linderndes finden. Manchmal sind die Schmerzen kaum da, an anderen Tagen sind sie ziemlich dominant.

Aufgrund der schweren und vielfältigen Beeinträchtigungen habe ich meine geliebte Erwerbsarbeit nicht mehr aufnehmen können. Mein Mann muss nun alleine „das Geld heimbringen“, das bedeutet nicht nur eine grosse Last für ihn, sondern auch eine deutliche finanzielle Einbusse für uns als Familie. Der Familienalltag ist ebenfalls deutlich gezeichnet durch meine Einschränkungen; vieles muss mein Mann mit den Kindern alleine unternehmen, auch im Haushalt muss er immer wieder mithelfen, weil ich nur ein sehr geringes Gewicht heben kann. Und die emotionale Belastung, die all diese körperlichen Beschwerden mit sich bringen, belasten auch die Stimmung in der Familie immer wieder.

Dazu quälen mich bis heute die unbeantworteten Fragen: Warum haben mich die Hebammen und die Ärztin nicht gewarnt? Warum haben sie mich geradezu in eine Situation hineingesteuert, von der sie alle hätten wissen müssen, dass es zu schweren Verletzungen kommen muss? Es ist eine nicht enden-wollende Fassungslosigkeit über den Umgang mit mir und mit anderen Schwangeren und Gebärenden, die mit der Wertevorstellung, wie wir sie sonst haben und leben, mit nichts zu vereinbaren ist. Ich kann bis heute nicht glauben, dass mir und so vielen anderen Frauen in unserem Gesundheitssystem derartiges passieren konnte und immer noch kann.

Gleichzeitig macht es mir Hoffnung, dass sich immer mehr Spezialist:innen zusammen tun und nach neuen Unterstützungsmöglichkeiten für Beckenboden-geschädigte Frauen suchen. Auch gibt es Ärztinnen und Ärzte der Geburtshilfe, die die Problematik erkannt haben und eine informierte Entscheidung für die Schwangeren fordern. Und immer mehr Frauen bringen – obwohl diese Arten von Schäden sehr schambehaftet sind – den Mut auf, sich zu äussern und sich für die Rechte der Frauengesundheit in Bezug auf die Geburt einzusetzen.