Erfahrungsbericht N.N.

Triggerwarnung: Bei diesem Betroffenenbericht kommen vor:
Forceps (Geburtszange), Kristellerhandgriff, Levatorabriss, Episiotomie, Analsphinkterverletzung DR 3b, Stuhlentleerungsstörung, Senkungsbeschwerden, Posttraumatische Belastungsstörung

Ich habe 2 Kindern das Leben geschenkt.

1. Geburt: sekundäre Sectio (Notkaiserschnitt) (keinerlei Probleme)

2. Geburt: mehrfaches erfolgloses Kristellern, Forceps (VBAC) : Levatorabriss vorne rechts und hinten links, zu steil geschnittene Episiotomie, Analsphinkterverletzung DR 3b

Keine Erfahrung aus meinem Leben, NICHTS kommt DEM gleich, was ich nach der (zweiten) Geburt gefühlt und erlebt habe. Ich wurde mit NICHTS diagnostiziert und dementsprechend nicht versorgt.

Nach dem ersten Aufstehen nach der Geburt konnte ich mich nicht auf den Beinen halten, nicht stehen, nicht gehen, nichts. Ich hatte instinktiv das Gefühl, dass etwas ganz Schlimmes passiert sein musste, das SO nicht gemeint sein kann. Ich „wusste“ intuitiv, dass mein Körper „kaputt“ war. Ich hatte unsägliche Schmerzen!!! Meine Bettnachbarin, eine Krankenschwester klingelte und ich hörte sie sagen: „Kümmern Sie sich um meine Bettnachbarin, das kann doch SO nicht in Ordnung sein“. Doch es hieß von allen Seiten „Sie hatten eine sehr schwere Geburt, das ist normal nach einer normalen Geburt, Sie brauchen Geduld, Geben Sie sich Zeit zum Heilen. Es ist alles in Ordnung.“

Ich konnte nicht mehr zur Toilette. D.h. ich konnte ab Geburt keinen Stuhl mehr absetzen und habe schweißgebadet nachts auf den verschiedenen Toiletten auf der Station verbracht und Stoßgebete gen Himmel geschickt. Ich bekam einfach täglich Abführmittelkügelchen, aber ohne Wirkung. Ich hatte während des gesamten Klinikaufenthalts KEINmal Stuhlgang. Der Stuhl hatte kein „Widerlager“ mehr und fuhr wie bei einem „Siphon“ wieder statt um die „Kurve“ wieder nach oben zurück. Es war die Hölle. Ich habe sogar meine Hausgynäkologin vom Krankenhaus aus angerufen, dass sie mir bitte helfen möge! Sie meinte „Kommen Sie erstmal wieder nach Hause, dann wird das schon wieder.“

Da meine Tochter mit Gelbsucht auf der Kinderstation lag, musste ich zum Stillen in den Keller auf die Station fahren. Im Aufzug, als dieser anfuhr und stoppte, konnte ich dann nicht mehr vor Verzweiflung. Das Gefühl, ohne Halt im Beckenboden wörtlich nach unten offen Fahrstuhl zu fahren, ist UNBESCHREIBLICH. Ich konnte beim Stillen unten vor Schmerzen nicht sitzen, nicht stehen, nicht gehen, nichts. Ich habe vor Schmerzen geweint. Und darum, weil ich mich bereits zu diesem Zeitpunkt gefragt habe, wie das je wieder gut werden würde und wie es jetzt mit mir als Mutter und berufstätige Frau weitergehen sollte. (Acht Wochen nach der Geburt musste ich wieder Vollzeit arbeiten. Mit offenem Dammschnitt und „wildem Fleisch“, welches aus der klaffenden, wunden Scheide wuchs, und welches mit Silbernitrat regelmäßig weggeätzt wurde. Niemand hat mich krankgeschrieben. Obwohl ich kaum gehen konnte).

Am Tag der Entlassung wurde mir bei der Abschlussuntersuchung das, was aus meinem Enddarm herausquoll, etwas Dickes, Geschwollenes (ich dachte an eine Hämorrhoide, konnte meine Vulva aber nicht selbst betrachten) einfach von der diensthabenden Ärztin mit dem Fingerling in den Anus zurückgesteckt und ich wurde mit dem Satz im Mutterpass „Mutter und Kind wohlauf – KEIN ANHALT AUF GEBURTSVERLERZUNGEN“ – entlassen.

Zuhause spitzte sich das Drama zu, dass ich das dringende Bedürfnis hatte, Stuhl abzusetzen. Mein damaliger Mann fuhr mich in den Notdienst zu meiner Gynäkologin, die aber nur feststellte „die Ampulle ist aber leer“. Ich bekam zum ersten Mal in meinem Leben ein anales Abführmittel verschrieben, das ich auch sofort anwendete und dann endlich in der Dusche zuhause im Stehen abführen konnte. Unter unsäglichen Schmerzen, als würde ich zerreißen. Ich habe nachts ins Bett gemacht und alles abgezogen, neben meiner Tochter gelegen und geweint.

Ich konnte die gesamte Zeit des Mutterschutzes nur zwischen Bett und Badezimmer hin und zurück. Ich konnte nur liegen, stillen und weinen. Nächtelang habe ich im Internet nach Hilfe gesucht; meine Freundinnen, die bereits geboren hatten, um Rat gefragt. Ich habe meine Hebamme um Hilfe gebeten. Diese riet mir, den Schnitt neu versorgen zu lassen. Ich hatte noch Plazentareste, die entfernt werden mussten, und im gleichen Zuge sollte die Dammnaht neu versorgt werden. Im Krankenhaus jedoch entschied sich der Oberarzt dagegen. Er sagte „Da machen wir lieber gar nichts. Seien Sie froh, wenn das irgendwie wieder zuheilt.“

Ich machte in der Folge Termine in den nächstgrößeren Nachbarstädten aus, da sich mein Zustand nicht wesentlich besserte. Ein Gynäkologe der Nachbarstadt sagte „der Damm ist ja recht kurz geraten, er ist quasi nicht mehr vorhanden“, aber anstatt mir irgendwie weiterzuhelfen, fragte er nur „Haben Sie denn schon wieder Sex?“

Im Vergleich zum Kaiserschnitt hatte ich nun die Hölle auf Erden. Beim ersten Kind war ich genauso fit wie eh und je. Nun konnte ich mir nicht vorstellen, je wieder Rad zu fahren, länger zu sitzen…

Mein damaliger Mann hat dann meiner Freundin über mich erzählt, ich „sei wohl faul“. Nach der ersten Geburt hätte ich bereits wieder im Haushalt gewirkt; nun (obwohl ich ja nicht einmal einen Bauchschnitt hatte), würde ich „nur herumliegen“. Mir hat das einen Schlag versetzt. Ich habe mich noch nie SO erniedrigt und ungerecht behandelt gefühlt.

Ich verstand überhaupt nicht, warum ich nicht kommunizieren konnte, was mir geschah, welche Symptome ich hatte. Ich hatte keinen Vergleich zu einer nicht traumatischen Vaginalgeburt. Nur zur Sectio. Ich verwünschte mich, keine weitere Sectio gehabt zu haben. Aber ich habe mich jedes Mal auf das Fachpersonal verlassen. (Heute weiß ich, dass das falsch war).

Ich habe nächtelang geweint, einen Ausweg gesucht, und nicht gefunden, das Internet durchgelesen. Ich habe bei der Arbeit auf Anraten der Hebamme schief auf einer Gesäßbacke gesessen, Vollzeit. Bis zum Bandscheibenvorfall.

Ich habe auch die ganze Zeit ohne Hilfe und ohne Pessar gelebt.

Ich wurde erst 8 Jahre nach Geburt diagnostiziert, als es mir wieder schlechter ging und ich mich mit starken Senkungsbeschwerden in einer Urogynäkologie vorgestellt habe. Ich war regelrecht erleichtert, fast glücklich über die Diagnose, darüber, dass ich meinem Körpergefühl DOCH trauen konnte und mir die Symptome NICHT einbildete. Ich dachte, nun könnte mir ENDLICH durch eine OP geholfen werden. Dem war nicht so.

Ich bin auf konservative Hilfsmittel angewiesen, die auch nicht optimal helfen. Ich vermisse mein altes Leben. Jeden Tag.