Pessare – Halt und Stütze

Pessare: Beispiele der unterschiedlichsten Art (CopyRight Martina Lenzen-Schulte)
Warum dieses Kapitel so wichtig ist
Wer nach der Geburt spürt, dass alles Mögliche am Beckenboden nicht mehr in Ordnung ist – das kann die Schwierigkeit sein, Urin und Stuhl zu halten (Harn- oder Stuhlinkontinenz) oder das Gefühl, dass etwas von außen (Harnblase, Darm) in die Scheidenwand drückt oder von oben – die Gebärmutter nach unten sackt – regelrecht durch die Scheide direkt zu berühren ist, oder man einfach den Eindruck hat, es ist alles nicht mehr fest genug und sackt nach unten – der braucht Halt. Meist vergehen zu viele Monate, bis man als Frau auf die Pessare als Hilfsmittel stößt. Dabei könnten sie quasi sofort Anwendung finden und sofort Stütze bieten. Nur machen die meisten erstmal mit Rückbildung rum, es dauert Wochen bis Monate, bis man Termine bei Ärztinnen und Ärzten bekommt, bis mal jemand Pessare anspricht, vergeht zu viel Zeit. Dabei sind sie oft das Einzige, was zunächst hilft und Sinn macht. Denn für OPs ist es eh viel zu früh und Physiotherapie hilft mitunter gar nicht, wenn Muskeln gerissen sind. Außerdem braucht das Gewebe – siehe unten meine Erklärungen dazu – eher früher als später Stütze. Insofern kann man oder eher „Frau“ sich nach der Geburt nicht früh genug mit Pessaren befassen. Und ein weiterer, wirklich wichtiger Appell sei hier vorausgestellt: Bitte nicht zu früh aufgeben! Es gibt fast unendlich viele Formen und Größen. Nur mit Geduld findet man manchmal genau das Pessar, das einem hilft – oder man stellt fest, es sind mehrere, die man zu unterschiedlichen Zeiten des Zyklus oder bei unterschiedlich belastenden Tagen nutzen kann. Wenn das gelingt, hat man für Jahre (auch zur Überbrückung vor einer noch nicht möglichen OP) eine wertvolle Stütze für den Alltag, der so um vieles leichter wird.
Direkt nach der Geburt über Pessare nachdenken
Ich rede hier von dem Zustand unmittelbar nach der Geburt, den ersten Tagen und Wochen. Man nagele mich nicht fest auf eine Woche hin oder her. Die meisten Frauen haben entweder eine Blasenschwäche, einen Vorfall – der Muttermund ist fühlbar, oder besser unüberfühlbar – sie haben ein stetiges Fremdkörpergefühl in der Scheide oder fühlen sich schwach, lose, ungesichert oder irgendwie nicht mehr fest.
Schon hier kommen Pessare ins Spiel – die hoffentlich entweder der Frauenarzt/die Frauenärztin oder die Hebamme bei ihren Besuchen nach der Klinik schon anpassen kann. Wenn nicht, dann darf man als Patientin ungeniert danach fragen – es ist das Recht jeder Frau! Wenn die eigentlichen Helferinnen und Helfer dabei hilflos sind, sollte man nicht verzagen: Im Anschluss an diesen Artikel gibt es dazu einige Tipps.
Aber zuvor sei erst erklärt, welchen Stützpfeiler der Therapie, im wirklichen Sinne des Wortes, Pessare bedeuten können. Denn letztlich existieren zwei Herangehensweisen, um eine Beckenbodenschwäche nach einer Geburt zu therapieren: eine passive und eine aktive. Die passive ist die Pessartherapie nach der Geburt, die aktive ist ein Beckenbodentraining/eine Beckenbodenrehabilitation bei dafür speziell ausgebildeten Physiotherapeuten, das auf keinen Fall mit den Rückbildungskursen der Hebammen verwechselt werden darf.
Kurzer Einschub: Die allenthalben angebotene Rückbildungsgymnastik ist bei einem beschädigten Beckenboden wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Beckenbodenrehabilitation, die diesen Namen verdient, ist eine ganz andere Hausnummer.
Nichts spricht dagegen, den Beckenboden zunächst passiv mit einem Pessar zu unterstützen und parallel nach und nach so weit wie möglich wieder aufzutrainieren, Physiotherapie funktioniert durchaus auch mit einem Pessar. Dass Pessar jedoch hat den Vorteil, dass die Patientinnen in den turbulenten Wochen nach der Geburt nicht ständig bei einschlägigen Anstrengungen an den Beckenbodenschutz denken müssen, frau gleichsam automatisch entlastet ist. Eine Folge des Senkungsgefühls der Frau ist nämlich, dass sie den Beckenboden intuitiv immer anspannen – das wird zu einer Dauerkontraktion und führt zu Verspannungen der Muskulatur und zur aktiven Insuffizienz / zu einem Versagen der Haltefunktion. Durch das Pessar kann die Muskulatur entlastet werden und gleichzeitig wieder funktionell arbeiten. Man darf diesen Anfangsfehler nicht hoch genug bewerten: Denn die Frauen suchen immer die Schuld bei sich selbst – „ich übe nicht genug“ – und trainieren dann wie der Teufel, ohne dass es wirklich nützt.
Was sind das für Dinger?
Wer hat schon mal als werdende Mutter von Pessaren gehört? Vermutlich keine. Es gibt zwar sehr viele ältere Frauen, denen zum Beispiel vor einer Operation zur Prolapstherapie eine Pessartherapie angeboten wird – weil es sehr viele ältere Frauen mit Prolaps und Harninkontinenz gibt. Aber dies ist hier nicht gemeint. Hier geht es um die Pessartherapie unmittelbar nach der Geburt. Diejenigen, denen Beckenbodenschäden erspart geblieben sind, ahnen ebenso wenig wie die meisten Männer, was sich dahinter verbirgt. Pessare sind heutzutage aus Plastik / Silikon und viele Frauen wundern sich, in welch unterschiedlichen Formen es sie gibt: Als Würfel, als eingedellte Würfel, als Doppelwürfel, als Ringe, als Ovale, als Schalen, als aufblasbare Ballons, als Stempel, in Donatdesign, mit Fäden und ohne, viereckig, rund, gebogen, durchlöchert oder nicht.
Was kann das sein, fragt sich der Unbedarfte? So viele Formen und ein einziger Zweck, denn allen ist gemeinsam: Man schiebt ein Pessar – ob Ring, Stempel oder Würfel – in die Scheide einer Frau nach oben, bis eine stützende Position für die jeweilige Patientin gefunden worden ist und das Pessar auch dort bleibt.
Pessare sind heutzutage meist aus unterschiedlich biegsamen, unterschiedlich harten Silikonmaterialien. Manche haben Federkerne zur besseren Anpassung. Früher waren sie aus Ton (im alten Ägypten), später aus Glas, Porzellan oder Gummi. Gemeinsames Ziel und Wirkprinzip ist es, den Beckenboden bei Senkungsbeschwerden zu stützen – also zu verhindern, dass entweder die Gebärmutter durch die Scheide nach unten hinabsinkt und dort ein Fremdkörpergefühl verursacht oder zu verhindern, dass von vorne die Harnblase und/oder von hinten der Enddarm durch die Scheidenwand spürbar wird und so ebenfalls irritiert.
Das macht unmittelbar nachvollziehbar, dass sich Pessare nach der Geburt (postpartal) sowohl bei der Belastungsinkontinenz (die die häufigste Form der Blasenschwäche postpartal darstellt), als auch bei Senkungsbeschwerden segensreich auswirken können. Aber sie halten eben auch die Organe in der Ebene des kleinen Beckens, in die sie hingehören. Denn offenbar kann die Heilung des überdehnten Gewebes, der überdehnten Muskeln dadurch verzögert oder beeinträchtigt werden, dass der Zug nach unten infolge der Beckenbodenschwäche das Gewebe zusätzlich stresst. Hierfür gibt es wissenschaftliche Belege. So kann sich eine Frau offenbar von einer Levator-Avulsion (das ist ein Muskelabriss bei Geburten, der hier auf der Webseite an anderer Stelle erklärt wird) besser erholen, wenn sie in den ersten 3 Monaten schon Pessare benutzt hat.
Wir wollen an dieser Stelle alle Frauen nur bestärken: Scheut Euch nicht, ein Pessar zu nutzen und vor allem so lange verschiedene Formen und Größen auszuprobieren, bis eine Lösung gefunden ist! Vor allem Frauen, die ihren Halt nach unten verloren haben, die sich lose anfühlen, die denken, alles sinke nach unten nach einer natürlichen Geburt, sind gut beraten, sich über eine Pessartherapie zu informieren. Es muss nicht gleich ein schwerwiegender Levatorabriss – eine Levatoravulsion – sein, es muss nicht gleich ein Sphinkter- oder Schließmuskelschaden am Darmverschluss sein, es muss nicht gleich der Urin unkontrolliert verloren gehen. Manche Frauen spüren einfach nur, dass alles so sehr gedehnt ist, das Bindegewebe, die Muskulatur so schwach ist, dass die Organe nach unten drücken. Wegen des Zuges an den Aufhängebändern (z.B. der Gebärmutter) kann dies erhebliche Schmerzen verursachen. Hier können Pessare in der ersten Zeit, sogar über Monate hinweg, segensreich wirken. Denn sie “adjustieren” praktisch den Beckenboden nach oben, zurück in eine Ebene, die allen Organen, Bindegewebsstrukturen und Muskeln erlaubt, sich in der ursprünglichen Anatomie zu erholen. Manche Experten – ich gebe das mal so wieder, was diese mir aus ihrer persönlichen Erfahrung berichten – halten Erholung nach einer natürlichen Geburt für mindestens ebenso wichtig wie ein aktives Beckenbodentraining. Und Erholung heißt eben, auf das völlig überdehnte, elastische Gewebe nicht noch Gewichte zu legen, sondern lieber von unten zu stützen und Zeit zu geben, damit sich die kleinen Gewebsverletzungen, die Belastungen, die durch den starken und übergroßen Zug an den Fasern entstanden sind, wieder zurückbilden können. Hier eine erste Anleitung:

Abdruck genehmigt von Frau Marlies von Siebenthal
Wann wieder Sport oder Belastung?
So wie wir bei Sportverletzungen einen Tapeverband oder einen Gips nutzen, um die Muskeln und das Bindegewebe zu entlasten, so kann man sich Pessare als Stütze für den Beckenboden denken. Das gilt auch für Risse, die man nicht sieht. Die Geburt kann zu minimalen Mikroverletzungen führen, die nicht alle als – funktionell untaugliche – Vernarbungen enden müssen, wenn man den zellulären Reparaturmechanismen Zeit gibt. Das heißt beileibe nicht, dass man auch kleine Bewegungsanreize setzen darf: etwa durch den Atemfluss und Beckenboden-Reha in entlastenden Stellungen.
Immer öfter lese ich auch von physiotherapeutischen Empfehlungen, denen zufolge zum Beispiel Frauen nach Geburten ein Jahr lang nicht Joggen sollten. Das klingt nach einer sehr langen Schonungsphase. Viele fühlen sich zwar viel früher wieder fit, wissen aber nicht, dass ihr Beckenboden es noch nicht ist. Jede Beschleunigung, die eine Art Fallen ihrer inneren Organe nach unten bewirkt – bei jedem Laufschritt während des Joggings – bedeutet dann eine zusätzliche Last auf dem Beckenboden – man schleudert quasi die Organe mit Wucht nach unten. So ist es auch beim ruckartigen Heben, beim die-Treppe-runter-Hüpfen, bei kleinen Sprüngen usw. Hier kann das Pessar einen Schutz bieten, den man nicht wie das Anspannen der Muskeln bewusst einsetzen muss – was allzu oft vergessen wird. Dies ist vielmehr ein eingebauter Schutz, der immer drin ist und auch nützt, wenn man nicht an die richtige Körperhaltung denkt.
Das ist natürlich nicht bei jeder Frau gleich, manche hat mehr, manche weniger Beschwerden und möchte schnell wieder fit sein. Es gibt keine pauschalen Sportverbote, sagen erfahrene Beckenboden-Physiotherapeutinnen, ebenso wenig wie es Zeiten gibt, für die man dies oder das definitiv noch nicht darf. Aber wie finde ich das heraus: Heute können erfahrene Physiotherapeutinnen einen so genannten Beckenboden-Check vornehmen: Jede Frau kann erfahren, was ihr Beckenboden kann und wo vielleicht noch Vorsicht angeraten ist.
Aber ganz offensichtlich sollten mehr Frauen nach einer Geburt Pessare nutzen. Das kann ich zumindest durch einen Kongressbeitrag beglaubigen. Dort wurde neben der Hormon-, Neural- und Vitamin-D-Therapie ausgesprochen die Pessartherapie als Präventivmaßnahme zur Vorbeugung von Beckenbodenschäden empfohlen – ja genau: es geht hier sogar um Prävention, um Regeneration. Also darum, selbst in jenen Fällen, in denen noch kein direkter Beckenbodenschaden auszumachen ist, schon an Pessare zu denken. Warum?
Jede Frau erleidet letztlich eine mehr oder minder starke Verletzung der Gewebe unter der Geburt und eine Koordinationsstörung von Beckenboden-Bauch-Rücken-Zwerchfell nach 9 Monaten Schwangerschaft. Hiervon gilt es sich immer zu erholen. Sonst könnten sie auch noch Jahre später von ihren Geburtsschäden eingeholt werden.
Eigentlich müsste man in Geburtsvorbereitungskursen, spätestens aber bei der Rückbildungsgymnastik alle Teilnehmerinnen darüber aufklären, dass ausgewiesene Experten und Expertinnen solch eine generelle Stütze des Beckenbodens nach einer natürlichen Geburt für sinnvoll erachten. Aber dies wird verschwiegen. So versäumen es viele Frauen, ihren Beckenboden in den Wochen und Monaten nach der Niederkunft zu schützen, ein Versäumnis, das nicht wenige in den Folgejahren vermutlich mit einem viel zu frühen Eintritt von Senkungsbeschwerden bezahlen müssen.
Frühe Pessartherapie – aber wann genau beginnen?
Die meisten Fachleute sprechen sich für einen Einsatz des Pessars erst nach Abschluss des Wochenflusses aus. Damit sind die Lochien gemeint, Wundsekrete, die die Gebärmutterschleimhaut nach einer Geburt noch über einige Wochen absondert. Diese Lochien bergen nach Ansicht mancher ein erhöhtes Infektionsrisiko, daher sollte deren Abfluss abgeschlossen sein. Danach kann die vorbeugende Pessar-Behandlung drei bis sechs Monate angeboten werden. Allerdings gibt es inzwischen auch durchlöcherte Pessare, oder solche, die den Abfluss von Blut erlauben, so dass sie zum Beispiel auch während der Menstruation getragen werden können.
Manche Ärzte setzen Pessare vor allem bei Frauen nach der Geburt ein, die über Beckenbodenbeschwerden klagen – dann open end, bis keine Symptome/Beschwerden mehr vorhanden sind. Aber sie können auch wie eben besprochen ohne Symptome, allein zur Förderung der „Heilung“ präventiv eingesetzt werden, weil man eben inzwischen davon ausgeht, dass der Beckenboden nach einer natürlichen Geburt Unterstützung benötigt – ob nun Beschwerden da sind oder nicht. Dann sollte frau das Pessar tragen, bis die Rückbildung abgeschlossen ist, pauschal nennen Experten hier mindestens 6 Monate.
Im Zweifel hilft ein Besuch in der urogynäkologischen Sprechstunde bei der Entscheidungsfindung. Der Arzt oder die Ärztin kann die Beckensituation nach dieser Frist individuell beurteilen und entweder verlängern oder entscheiden, dass das Pessar nun nicht mehr notwendig ist. Wissenschaftliche Daten gibt es hierfür noch nicht. Daher kann genauso gut jede Frau selbst beurteilen, ob sie weiter den Halt möchte oder nicht. Wenn ihr das gut tut – und ohne Pessar fühlt es sich nicht gut an – dann spricht nichts dagegen, ein Pessar zur Sicherheit weiter zu verwenden.
Wie finde ich das passende Pessar und was nützt es?
Ein Hauptproblem der Pessare ist es, die richtige Passform für die einzelne Patientin zu finden, damit die Nebenwirkungen auszuschalten und auch wirklich Halt zu verschaffen. Ein Pessar muss richtig fest an Ort und Stelle sitzen, sonst fällt es aus der Vagina heraus. Es darf aber auch nicht zu viel Druck an der Scheidenwand ausüben – sonst entstehen Druckgeschwüre. Dies umso eher, je trockener die Scheidenschleimhaut ist, weshalb zur Pessartherapie regelhaft hormonhaltige Östrogensalben empfohlen werden. Es gibt immer wieder Versuche, neue, bessere Pessare zu entwickeln. Hier sei zum einen auf eine Firma in den USA verwiesen, die im 3D-Druck-Verfahren die Passformen noch genauer dem Körper anpassen will – mittels vorher in der Bildgebung erhobenen Daten (https://www.cosm.care/). Vor allem aber auf das neue, hier in Deutschland bereits verfügbare Pessar der Firma Arabin.
Es ist weit fester als etwa das Restifem, dennoch biegsam zum Einführen. Es kann von zwei Seiten aus eingeführt werden und lässt auch Sekrete abfließen. Es handelt sich um ein Hybridpessar, das gut haftet und sich nicht lateral dehnt, eine Anatomie-adaptierte Form hat, gleichzeitig nicht zu starr ist und zudem für Fluor und Blut passierbar. (beziehbar über: info@dr-arabin.de Tel: 02302 189214)

Dr. Arabin Hybridpessar soft. Abdruck genehmigt von Frau Prof. Dr. med. Birgit Arabin
Wichtig ist es, in Ruhe und mit Sachverstand die richtige Form und vor allem die richtige Größe auszuwählen, erst dann entfalten Pessare ihre uneingeschränkte Stützfunktion, ohne wehzutun, mitunter auch, ohne beim Koitus zu stören. Tatsächlich belässt ein Teil der Patientinnen – einer Studie zufolge etwa ein Drittel derer, die unter einer Pessartherapie überhaupt sexuell aktiv sind – Pessare während des Intimverkehrs an Ort und Stelle, wenn die Form Intimverkehr zulässt. Diese Angaben stammen aus eine der seltenen Studien, die sich mit der Frage befassen, welche Rolle Pessare für das Sexleben der Trägerinnen spielt.
Wegen der negativen Auswirkungen von Senkungsbeschwerden auf das Körperbild und das sexuelle Erleben ist nur gut die Hälfte derjenigen Frauen, die deswegen ein Pessar nutzen, noch sexuell aktiv. Aber – bei denen bessert sich vieles, weil das Pessar wesentliche Beschwerden beheben kann und damit auch ein besseres Selbstbild entsteht.
Manche Frauen entfernen es nur deshalb beim Zusammensein mit dem Partner, wenn dieser Bedenken hat, aber nicht um ihrer selbst willen. Was letztlich zeigt, wie wenig bisher über solche zentralen Aspekte nachgedacht wurde. Individuelle Pessare, die schützen und dennoch beim Sex nicht im Weg sind – in jeder Hinsicht angepasst an die Bedürfnisse der Frau, das sollte doch angesichts der modernen Materialien und Herstellungsverfahren wie 3D-Druck kein Ding der Unmöglichkeit sein. Man kann nur hoffen, dass die Aussicht auf Profit die Lösungen vorantreibt. Immerhin zeigen solche Studien, dass inzwischen schon die eine oder andere Arbeitsgruppe darüber nachdenkt, dass auch Pessarträgerinnen ein Sexualleben haben könnten, dass sie sexuelle Bedürfnisse haben und dass diese nicht aufhören, wenn die Geburt den Beckenboden geschwächt hat. Ich verweise hier auf Angela Rantell, Urogynäkologin am King’s College Hospital in London, die unmissverständlich forderte, dass alle im Gesundheitswesen, die Pessare anpassen, mit den Patientinnen auch über Sex reden müssten – egal in welcher Form die Betroffenen sexuell aktiv werden wollten, es sei ein integraler Bestandteil ihres Lebens.
Ein Pessar anpassen und einsetzen, allein das kann schon längst nicht jeder Frauenarzt oder jede Frauenärztin. Zwar haben Gynäkologen und Gynäkologinnen schon davon gehört, oder so ein Pessar mal gesehen. Besucht man aber Fortbildungen zu Pessaren auf Kongressen, wird rasch klar, dass längst nicht jeder aus der Frauenheilkunde weiß, für welche Patientin welche Pessare nützlich sind. Da es so viele unterschiedliche Formen und Größen gibt und jedes Pessar mit einer anderen Technik eingesetzt wird, da Pessare in der Stützfunktion auf unterschiedliche Bereiche der Vagina wirken, ist sicherlich nicht jeder Frauenarzt auch Spezialist in der Pessartherapie, die eine Ausbildung und Erfahrung voraussetzt. In anderen europäischen Ländern verhält es sich ganz ähnlich. Befragungen in Großbritannien und in den Niederlanden lassen erkennen, dass Wissen und Training in Sachen Pessartherapie unter Ärzten beträchtlich variieren.
Im Zweifel können erfahrene Beckenboden-Physiotherapeuten weit besser Pessare anpassen als mancher Frauenarzt, der sich damit aus Desinteresse und weil es nicht genügend entlohnt wird, nie sorgfältig auseinandergesetzt hat. Dies zu verstehen ist wichtig, denn die umfangreiche Diagnostik, Beratung und Therapie bei den oft in dieser Hinsicht viel besser ausgebildeten Physiotherapeutinnen muss im Zweifel von der Patientin selbst bezahlt werden. Ich kann hier nur weitergeben, dass mir zahlreiche Betroffene stets bestätigen, dass sich dies lohnt. Es gibt neue Initiativen (angedacht), dass noch mehr Hebammen in der Pessaranpassung ausgebildet werden sollen, um unmittelbar nach einer Geburt entsprechend helfen zu können. Aber solche Pläne stecken noch in den Kinderschuhen.
Wie lange braucht man Pessare?
Nach der Geburt kann sich – vor allem nach dem Abstillen – vieles erholen. Manche Frauen spüren eklatante Besserungen, andere weniger. Hier handelt es sich also um dynamische Vorgänge – und nicht, das darf man nicht verwechseln – um Dauerzustände eines geschädigten Beckenbodens wie etwa nach den Wechseljahren oder nach fehlgeschlagenen Operationen. Man kann also Pessare wieder absetzen, vor allem, wenn keine Muskeln gerissen sind und sich der Beckenboden wieder erholt hat – sprich, wenn keine Beschwerden, keine Symptome mehr vorhanden sind.
Wie schon erwähnt, kann man nur raten, allein zur Förderung der Abheilung des strapazierten Beckenbodens nach einer natürlichen Geburt „generell“ Pessare zur Unterstützung anzuwenden. Dann sollte “frau” das Pessar tragen, bis die Rückbildung abgeschlossen ist, pauschal nennen Experten und Expertinnen hier mindestens 6 Monate. Im Zweifel hilft ein Besuch in der urogynäkologischen Sprechstunde bei der Entscheidungsfindung oder bei einer erfahrenen Beckenbodenphysiotherapeutin, die einen Beckenboden-Check machen kann. Solche Spezialisten und Spezialistinnen können die Beckensituation nach dieser Frist individuell beurteilen und entweder verlängern oder entscheiden, dass das Pessar nun nicht mehr notwendig ist. Wissenschaftliche Daten gibt es hierfür indes noch nicht. Daher gebe ich wieder, was ich nach etlichen Jahren mit Besuchen auf wissenschaftlichen Kongressen, Gesprächen mit sehr erfahrenen Physiotherapeutinnen und Ärztinnen und Ärzten, die in diesem Bereich tätig sind, aufgesammelt habe.
Er stärker beschädigt ist, weil das Bindegewebe zu stark überdehnt worden ist, oder weil Muskeln gerissen sind, braucht Pessare erstmal dauerhaft. Sei es, weil noch keine Operation existiert, um die Muskelrisse zu vernähen, oder weil man einfach lange Wartezeiten einrechnen muss, bis man Termine bekommt, oder weil man einfach noch jung ist und nicht gleich mit einer Operation beginnen will, weil deren Effektivität nur für maximal 15 Jahre nachgeprüft ist (es gibt Operationen, die länger sehr guten Halt geben, aber so richtige wissenschaftliche Belege hat man dafür – siehe auf unserer Seite die Infos zu den Operationen – noch nicht). Nichts spricht gegen langfristige Pessartherapien. Manche Frauen jonglieren souverän damit herum und benutzen je nach Situation – Blutung oder nicht, schwerer Tag oder entspanntes Liegen können – unterschiedliche Pessare oder lassen sie auch mal weg. Hier sind dem individuellen Ausprobieren keine Grenzen gesetzt. Der persönliche Austausch kann wahnsinnig stimulierend sein (siehe unsere geplante Austauschbörse bzw. Facebook).
Wissenschaftliche Studien zur Pessar-Wirksamkeit
Es gibt noch nicht wirklich umfangreiches Studienmaterial zu Pessaren. Das liegt daran, dass Pessare früher einfach so eine Art letzte Lösung für ältere Frauen waren, denen man glaubte, anders nicht mehr helfen zu können. Damals hatte man die vielen jüngeren Patientinnen, die nach einer Geburt beschädigt sind, noch nicht so im Blick. Inzwischen erkennt man immer deutlicher, wie viel man mit Pessaren bewirken kann und immer öfter untersucht man das auch wissenschaftlich. Hier eine Zusammenstellung:

Links und praktische Hinweise:
Im Folgenden empfehle ich Praxen und Expertinnen und Experten, die sich schon lange mit Pessartherapie befassen, die viel Erfahrung bei der Anpassung haben und dazu auch selbst Fortbildungen veranstalten. Des Weiteren einige Internet-Links, die beglaubigen sollen, wie wichtig inzwischen – auch international – die Pessartherapie genommen wird. *
Liste der speziell ausgebildeten Physiotherapeutinnen für Deutschland:
Liste der speziell ausgebildeten Physiotherapeutinnen für die Schweiz:
Liste der speziell ausgebildeten Physiotherapeutinnen für Österreich:
Besondere Praxen:
- https://www.physiohof-landmesser.de/physiohof.html
- https://www.praxisloges.de/ (Frau Loges arbeitet intensiv mit einer Frauenärztin zusammen, die sich sehr um Beckenbodenbelange kümmert und sei daher für den Raum Düsseldorf empfohlen: Frauenärztin Düsseldorf – Dr. med. Monica Scheele-Pescheny praxis@drscheele.de
- https://www.almut-koewing.de/pessarberatung/
- Dr. med. Thomas Fink: t.fink@sana.de
- Dr. med. Rainer Lange: lange-alzey@t-online.de
Nationale und internationale Webseiten mit Ratschlägen
- https://www.youtube.com/watch?v=-BUoKOjj6Qs
- https://www.crystalrunhealthcare.com/articles/prolapsed-uterus-after-childbirth-what-you-need-know
- https://www.sjs-bremen.de/unsere-kompetenzen/gynaekologie-und-geburtshilfe/beckenbodenzentrum/therapie/hilfsmittel-zur-behandlung-von-blasenschwaeche-und-senkungsbeschwerden-pessare.html
Wer es sich als Frau zutraut, kann Pessare auch selbst anpassen und auswählen, sie sind erschwinglich, daher versuchen es nicht wenige. Allerdings empfehle ich dringend, einen erfahrenen Pessartherapie-Spezialisten – eine Spezialistin aufzusuchen, der die wichtigsten Prinzipien erklärt, eine ungefähre Ahnung von der Größe hat, mit der man starten sollte, und der bei Druckbeschwerden oder bei einem Scheidenausfluss infolge einer Infektion raten kann, wie mit solchen Nebenwirkungen umgegangen werden sollte. Manche Pessare haften extrem fest an der Scheidenwand und sind von der Nutzerin nur schwer oder gar nicht heraus zu manövrieren, wenn sie sich nicht auskennt, andere haben einen Faden, um sie heraus zu ziehen. Dies darf man jedoch keineswegs mit einem Tampon verwechseln, denn Pessare sitzen viel fester.
- Aber dennoch hier eine Anleitung für diejenigen, die vielleicht zu lange auf Termine warten müssen oder sehr gut damit allein zurecht kommen: https://pessartherapie.de/de/startseite/
Ein wenig Geschichte für Interessierte:

Stift-Pessar aus Silber, um 1900 (Foto: Monika Weber) Quelle: Stift-Pessar
Pessarium ist ein lateinischer Begriff und heißt Mutterkranz, pessum, ebenfalls Latein, heißt Gebärmutterzapfen oder – stöpsel. Folglich kannte man schon in Rom mehrere Verwendungen. Denn Pessare wurden schon immer zum einen als Verhütungsmittel verwendet und zum anderen als Stütze für den Beckenboden. In der neueren Zeit werden sie auch in speziellen Formen eingesetzt, um eine drohende Frühgeburt zu verhindern.
Pessarbehandlungen gibt es bereits seit rund 4000 Jahren, erstmals wurde das in den ägyptischen Papyri erwähnt. Der berühmteste Gynäkologe der Antike, der griechische Arzt Soranus von Ephesos (98-138 nach Christus), beschrieb erstaunlich einfühlsame Therapien für Gebärmuttervorfälle, die keine geringe Ähnlichkeit mit den heutigen Pessar-artigen Stopfen haben.
Im 19. Jahrhundert wurden Pessare aus Holz, Gummi, Metall, Leder und Glass hergestellt – und erstmals weithin populär. Es war ab dieser Zeit sogar eine Haupteinnahmequelle des Ärztestandes, denn es hieß, es gäbe zwei Gruppen von Frauenärzten, die reich würden: Jene, die Pessare einsetzten, und jene, die sie wieder entfernten. Wie bedeutsam Pessare waren, lehrt nicht zuletzt die Tatsache, dass sogar Patente darauf angemeldet worden sind – man wollte sich schließlich den Gewinn aus diesen gefragten Produkten sichern. Aus all dem können wir schlussfolgern, dass es ein begehrtes Produkt war. Ganz offensichtlich haben viele Frauen an Senkungen des Beckenbodens gelitten. Damals lag es an den sehr vielen Geburten, den vielen Kindern, die Frauen bekamen. Heute liegt es daran, dass viele Frauen spät – wenn sie nicht mehr so elastisches Gewebe haben – Kinder bekommen. Dann kann der Beckenboden auch schon nach nur einer oder zwei Geburten Schaden nehmen.
Literatur zum Weiterlesen, Informieren und Empfehlen:
- Tunn R, Beilecke K: Therapieansätze zur Beeinflussung des Beckenboden-Bindegewebes post partum. gynkongress DGGG 2018 / Wissenschaftliche Sitzung Beckenbodenprotektive Geburtshilfe. 31. Oktober 2018
- Baessler K, Heihoff‐Klose A, Boelke S, Stupin J, Junginger B: Cochrane Central Register of Controlled Trials. Does an early postpartum pessary treatment lead to remission of pelvic organ prolapse after vaginal birth? A pilot study- International urogynecology journal, 2019; 30(1):S349‐S350. https://doi.org/10.1007/s00192-019-04116-3
- Velzel J, Roovers JP, Van der Vaart CH, Broekman B, Vollebregt A, Hakvoort R. A nationwide survey concerning practices in pessary use for pelvic organ prolapse in The Netherlands: identifying needs for further research. Int Urogynecol J. 2015 Oct;26(10):1453-8. doi: 10.1007/s00192-015-2697-6.
- Brown CA, Pradhan A, Pandeva I. Current trends in pessary management of vaginal prolapse: a multidisciplinary survey of UK practice. Int Urogynecol J. 2020 Oct 9. doi: 10.1007/s00192-020-04537-5.
- Bugge C, Kearney R, Dembinsky M, Khunda A, Graham M, Agur W, Breeman S, Dwyer L, Elders A, Forrest M, Goodman K, Guerrero K, Hemming C, Mason H, McClurg D, Melone L, Norrie J, Thakar R, Hagen S. The TOPSY pessary self-management intervention for pelvic organ prolapse: a study protocol for the process evaluation. Trials. 2020 Oct 8;21(1):836. doi: 10.1186/s13063-020-04729-w.
- Sansone S, Sze C, Eidelberg A, et al.: Role of Pessaries in the Treatment of Pelvic Organ Prolapse: A Systematic Review and Meta-analysis. Obstet Gynecol. 2022;140(4):613–622.
- Zeiger BB, da Silva Carramão S, Del Roy CA, et al.: Vaginal pessary in advanced pelvic organ prolapse: impact on quality of life. Int Urogynecol J. 2022;33(7):2013–2020.
- Nemeth Z, Kolumban S, Schmidt R, et al.: Self-management of vaginal cube pessaries may be a game changer for pelvic organ prolapse treatment: a long-term follow-up study. Int Urogynecol J. 2023;34(4):921–927.
- Van den Broeck S, Nullens S, Jacquemyn Y, et al.: Posterior compartment prolapse and perineal descent: systematic review of available support devices. Int Urogynecol J. 2023 Apr 19. doi: 10.1007/s00192-023-05508-2.
- Donnelly MJ, Powell-Morgan S, Olsen AL, et al.: Vaginal pessaries for the management of stress and mixed urinary incontinence. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct. 2004;15(5):302–7.
- Rantell A. Vaginal Pessaries for Pelvic Organ Prolapse and Their Impact on Sexual Function. Sex Med Rev. 2019 Oct;7(4):597-603. doi: 10.1016/j.sxmr.2019.06.002.
- Doxford-Hook EA, Slemeck E, Downey CL, et al.: Management of levator ani avulsion: a systematic review and narrative synthesis. Arch Gynecol Obstet. 2023;308(5):1399-1408: sind nützlich in den ersten 3 Monaten nach Levatoravulsion
- Lange R, et al: Zgeburtshilfe Neonatol 2021;225(S01):e13.
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Diese Webseite ist noch nicht lange existent und damit in einem dynamischen Entstehungsprozess. Wir wollen schon so viele praktische Tipps geben wie möglich, aber die Listen sind bei weitem noch nicht abgeschlossen. Daher bitten wir um Verständnis, wenn sich so manche Expertin, so mancher Experte nicht vertreten fühlt. Bitte mailen Sie uns und wir holen das gerne nach – je mehr Therapeutinnen und Therapeuten hier auftauchen, desto besser. Wir nehmen auch gerne Tipps von Betroffenen entgegen. Es sollen schließlich alle im deutschsprachigen Raum Betroffenen so ortsnah wie möglich gut versorgt werden.
mls, aktualisiert am 01.02.2025
Unter folgendem Link finden Sie einen persönlichen Erfahrungsbericht einer betroffenen Frau:
Erfahrungsbericht zur Pessartherapie
Ebenfalls sind Lesende herzlich eingeladen, uns ihre eigenen Erfahrungen mit Pessaren via E-Mail-Adresse info@geburt-beckenboden.info zuzusenden. Nach Rücksprache und mit Erlaubnis der betreffenden Frauen veröffentlichen wir diese in anonymisierter Form gerne unter: