Unter einer „Senkung“, Gebärmuttersenkung, Scheidensenkung, Blasensenkung, Darmsenkung, = Deszensus uteri et vaginae, med. Diagnoseschlüssel N81.4 bzw. N81.1 Zystozele, N81.6 Rektozele oder auch engl. „prolapse“ versteht man das Absinken der Organe im kleinen Becken Blase, Gebärmutter und Enddarm von ihrem anatomisch angestammten Platz in die Scheide. Diese beult sich an der Stelle des abgesunkenen Organs aus. Die Gebärmutter kann sogar komplett vorfallen (Totalprolaps). Durch das Absinken der Organe unter den Beckenboden entstehen Funktionsbeeinträchtigungen und belastende Symptome, die das alltägliche Leben der Betroffenen stark belasten.
30% der Frauen unter 46 Jahren, 40% aller Frauen sind im Laufe ihres Lebens von Senkungsbeschwerden betroffen. Auch wenn Alter, Gewicht und belastende Berufe als Risikofaktoren genannt werden, ist doch die Vaginalgeburt Hauptrisikofaktor bzw. Ursache für Senkungsbeschwerden. Die muskulären und bindegewebsartigen Strukturen der Frau werden unter der Geburt derart strapaziert, dass sie häufig auch irreparablen Schaden nehmen. Selbst bei physiologischen, nicht traumatischen Geburten ist der Beckenboden stark belastet und bedarf der Schonung und Regeneration.
Bei schwereren Geburten, d.h. Geburten mit langer Austreibungsphase, von großen Kindern, von Müttern mit größeren Risikofaktoren, und ganz besonders bei vaginal-operativen Geburten kann es hingegen zu schweren physiologischen intrapartalen Geburtstraumata der Mutter kommen, die zu irreparablen Schäden führen. Dies ist umso wahrscheinlicher, je älter die Gebärende ist, kann aber ebenso junge Mütter treffen. Das Problematische dabei ist, dass sich dieser Verletzungen nur statistisch angenähert werden kann, die Vorhersagbarkeit also nicht präzise benannt werden kann. Zum heutigen Zeitpunkt ist eine routinemäßige Abfrage der Risikofaktoren (z.B. mithilfe des URCHOICE-Rechners) vorgeburtlich nicht gegeben; es obliegt also der Schwangeren (Patientin), sich selbst darum zu kümmern, was umso schwieriger ist, da diese irreparablen Geburtsverletzungen nicht nur gern von den Schwangeren ferngehalten und absichtlich verschwiegen werden, sondern die besonders informierten Schwangeren, die diese Verletzungen gern vermeiden möchten und das medizinische Fachpersonal darauf ansprechen, sogar durch medical gaslighting eingeschüchtert werden.
Bei der schwerwiegendsten Geburtsverletzung – neben höhergradigen Dammrissen mit Schließmuskelverletzungen – handelt es sich um eine Avulsion des musculus levator ani, auch Levatoravulsion. Dieser für den Beckenboden so wichtige Muskel reißt bei der Geburt vom Schambeinknochen ab (er kann auch seitlich-hinten vom Beckenknochen abreißen). Der Abriß erfolgt im größten Teil der Fälle einseitig vom os pubis (meist rechts), kann aber auch beidseitig erfolgen. Eine Avulsion ist nach heutigem Stand der Medizin nicht ursächlich heilbar; das bedeutet, es gibt keine wiederherstellende Operation, die diesen wichtigen Muskel in seiner Funktion reparieren könnte. Es ist geradezu erstaunlich, dass die Levatoravulsion, die solche weitreichenden Folgen hat, meist schlichtweg gar nicht bei den Geburtsverletzungen genannt wird. Zu den Folgen dieser chronisch lebensverändernden Verletzung siehe weiter unten.
Eine ebenso lebensverändernde Geburtsverletzung stellt eine Analsphinkterverletzung dar. Zu diesen Verletzungen siehe weiter unten.
Welche Symptome macht eine Levatoravulsion?
Frauen, die eine Levatoravulsion haben, merken meist früh nach der Entbindung, das „etwas nicht stimmt“. Sie haben das Gefühl, nach unten offen zu sein, „kaputt“ zu sein, daß etwas ganz Schlimmes passiert ist, das so nicht richtig sein kann. Sie können nicht stehen, haben ein Gefühl der Instabilität, ein starkes Druckgefühl, ein heftiges Brennen und unsägliche Schmerzen.
Oftmals gibt es weitere Verletzungen wie etwa einen Analsphinkterriss. Die junge Mutter fühlt sich hilflos, muß sich jedoch auf das geburtshilfliche Personal verlassen, da sie keine Vergleichsmöglichkeit zu anderen Geburten ohne Verletzung hat, und da sie sich zu diesem Zeitpunkt in der Klinik nicht selbst im Vulvabereich ansehen kann.1
Viel später – nach langen, verzweifelten, privaten Versuchen, die Symptome zu verbessern bzw. zu ertragen, wenn die schweren Verletzungen oberflächlich und sekundär „irgendwie“ verheilt bzw. vernarbt sind, bleiben trotzdem immer Symptome bestehen.2 Diese Symptome sollen im Folgenden ausführlich geschildert werden, denn sie nehmen einen großen Teil im Leben der Frauen ein, die damit nun leben müssen, ohne Aussicht auf Verbesserung, sondern mit Aussicht auf Verschlechterung in den Wechseljahren und der Menopause. Der Alltag der Betroffenen stellt eine große Herausforderung dar. Wenn Sie noch Zweifel haben, wie belastend die Symptome sind, erinnern Sie sich an Ihre letzte Blasenentzündung – die ist „Nichts“ im Vergleich zu den Symptomen von muskulären Geburtsverletzungen, und wird doch selbstverständlich behandelt.
Im Folgenden werden Symptome aufgezählt, die Frauen mit Levatoravulsion schildern (Aufzählung evtl. nicht vollständig)
- Schmerzen, besonders beim Stehen, beim Gehen, beim Sitzen (man kann nicht den ganzen Tag in Umkehrhaltung verbringen!)
- Gefühl eines vollen, dicken Tampons im Scheideneingangsbereich
- Fremdkörpergefühl, als „stecke etwas in der Scheide, das dort nicht hingehört“
- eine klaffende Scheide
- starker Harndrang
- Dranginkontinenz
- ein strammer Ball zwischen den Labien
- Stuhlentleerungsstörungen
- Verstopfung,
- Stuhlschmieren
- Der Damm wird vom Druck des Enddarms und vom Druck der Unterhose wie der Inhalt eines zusammengedrückten Sandwiches gequetscht und gescheuert.
• Ein Drücken, ein Ziehen, ein Einschlafen einzelner Regionen, ein Aneinanderreiben bzw. Hin- und Herbewegen von inneren Organen.
• Eine äusserst dominante Missempfindung. Man kann kaum an etwas anderes denken, irgendwie vergleichbar, wie wenn man eine grosse Wimper im Auge hat. Man kann sich erst wieder konzentrieren, wenn man die Wimper aus dem Auge entfernt hat. Nur wäre das im Vergleich mit der Senkung so, als ob man die Wimper nie wieder aus dem Auge bekäme und nur nachts im Liegen Linderung erfährt.
• Diese Missempfindungen hören den ganzen Tag nicht auf, man dreht fast durch.
• Wie eine volle, schwere Windel, die sich innen im Körper befindet.
• Ich würde mir am liebsten in den Körper hineingreifen und die Organe mit der Hand nach oben halten.
• Stehen ist das Schlimmste. Das geht eigentlich kaum mehr. Spazieren und Wandern sind ebenfalls eine unglaubliche Belastung und nichts Schönes mehr. Joggen und Rennen gehen gar nicht, da werden die Organe regelrecht im Körper drin herumgeschleudert bzw. nach unten geschlagen. Dinge heben (auch schon ganz kurz eine mit Wasser gefüllte Pfanne) machen die Beschwerden sofort schlimmer. Radfahren reißt im Beckenboden, der verkrampft.
• Die Mitte gehört nicht mehr zum Rest des Körpers.
• Die im Grunde äusserst gesunde und wichtige Bauchatmung macht die Probleme nur noch grösser. Statt einer gesunden Entspannung im Körper werden die Organe noch mehr nach unten gedrückt.
• Die Mundwinkel senken sich jeweils so tief wie die die Organe im Tagesverlauf gerade abgesenkt sind.
• Es ist ein grauenhaftes Körpergefühl.
• Vor der Geburt war meine Mitte voller Gesundheit, Lust und Lebensfreude. Heute hockt dort nur noch Pathologie, Scham und Not.
• Als würde eine Hand die Organe in grober Weise umklammern und daran ziehen.
• Es fühlt sich einfach durch und durch Scheisse an.
• Ich hatte vor der Geburt ein sehr gutes Gleichgewicht. Durch die Organsenkungen ist dieses deutlich gestört. Manchmal knicke ich nur schon im Stehen in der Mitte etwas ein. Das Gewicht ist nicht mehr da, wo es sein sollte. Das destabilisiert den ganzen Körper.
• Meine Damm- und Afterregion ist verhärtet und deutlich tiefer getreten. Man kann auch von aussen klar tasten, dass von oben ein Gewicht drückt, wie es niemals sein sollte. Meine Vagina ist viel zu weit, aber auch gequetscht; es drücken Organe in sie hinein.
– Belastungsinkontinenz
-Zystocele
-Rectozele
-Gebärmuttersenkung
-permanentes Missempfinden im Intimbereich, quasi wie ein matschiges und feuchtes Gefühl (mehr Ausfluss, früher blieb dieser im Inneren, jetzt kommt er schnell raus)
-Schweregefühl, mal hinten mal vorne, mal beides
-jeden Tag lästige Manipulationen, um abführen zu können, und dann das Pessar einzusetzen
-Gefühl chronischer Schmerzen häufig seitlich hinter den Schamlippen, das ist nicht dauerhaft, aber wenn vorhanden, den ganzen Tag (macht einen echt mürbe)
-generell Gefühl der Instabilität, Springen nicht möglich
-Stuhlentleerungsprobleme (kann nicht mehr pressen), mittlerweile durch Magnesiumeinnahme etc. weitestgehend im Griff, aber ist immer Thema
-teilweise Gefühl der unvollständigen Entleerung
-direkt nach der Geburt Windinkontinenz, diese ist zwar weg, aber nun ist eher das Problem, dass die Luft manchmal gar nicht raus kann oder ich mich sehr anstrengen muss, sie zurückzuhalten
-bei Winden gleichzeitig Urinabgang
-nur noch geringe Fähigkeit, überhaupt etwas anzuspannen
-der Damm ist quasi nur noch ein Hautlappen ohne Muskelfunktion
-innen sind zwei große Höhlen tastbar, früher konnte ich den Bereich sehr verengen, nun nur noch ein schwaches Muskelzucken da
-Probleme beim Sex, will da eigentlich nicht mehr berührt werden
-Sex im Gegensatz zu früher schwierig, Orgasmusfähigkeit stark eingeschränkt
-danach oft Schmerzen
Welche Folgen hat die Levatoravulsion für die Betroffene?
Welch schwerwiegende Folgen die Levatoravulsion für Betroffene hat, wird durch die oben genannten Schilderungen deutlich. Daran ändern auch beschönigende oder diskriminierende Äußerungen seitens vieler Ärzte und Gynäkologen nichts. Die Symptome und Funktionseinbußen stellen eine nicht zu leugnende enorme Beeinträchtigung der Lebensqualität dar.
Zu den bereits genannten Symptomen kommt ein beträchtlicher Schlafmangel aufgrund der häufigen nächtlichen Toilettengänge, daraus resultierend Konzentrationsmangel, Energielosigkeit und Müdigkeit. Dies alles kann zu Gereiztheit bis hin zu Depressionen führen und kann die Lebenserwartung der betroffenen Frauen um statistisch 7-10 Jahre verkürzen. (Studie Schweden)
Auch wenn die Erkrankung gutartig ist und häufig auftritt, so ist es doch nicht leicht, daran zu leiden. Die Krankheitslast der Betroffenen ist hoch und mit derjenigen von Schlaganfall und Demenz vergleichbar. Angesichts dieser Tatsache ist es erstaunlich, wie lange betroffene Mütter in ihrem stressigen Alltag weiter „funktionieren“ – völlig alleingelassen von der Medizin! Ein Anteil geburtsverletzter Mütter wird im Laufe ihres Lebens verrentet, da er den Druck sich verschlechternder Symptome bei gleichzeitigem Funktionierenmüssen in Beruf und Alltag kräftemäßig nicht mehr kompensieren kann. (Welcher Arbeitnehmer verbringt schon vor der Arbeit mehrere Stunden auf den Fliesen im Bad, um abzuführen, bevor er das Haus verlassen kann?)
Als Folge drohen daher Verrentung, Verlassenwerden vom Partner (kein erfüllender Sex mehr möglich) und psychische Beeinträchtigungen durch ständige Sorge und belastende Unsicherheit vor der Zukunft.
Wie wird eine Levatoravulsion diagnostiziert?
Eine Levatoravulsion kann zuverlässig diagnostiziert werden durch einen Ultraschall und Palpation. Auch hier sind wieder speziell ausgebildetes Fachpersonal bzw. Spezialisten notwendig.
Forderungen von Levatoravulsionspatientinnen:
- vollumfängliche vorgeburtliche Aufklärung aller Frauen über die Levatoravulsion
- Schulung des Fachpersonals über Levatoravulsionen, deren Ursache, Entstehung und Vermeidung
- Bewusstsein dafür schaffen, dass die LA unbedingt zu vermeiden ist, zumal es keine adäquate OP gibt, wenn die Schädigung erst einmal eingetreten ist
- Aufnahme der Levatoravulsion in den Katalog mit eigenem Diagnoseschlüssel (wie seit 01-2024 in der International Classification of Diseases for Mortality and Morbidity Statistics. Code: GC40.40 Levator avulsion from symphysis pubis)
- Anerkennung der Levatoravulsion als Behinderung und eines GdB
- Lebenslange Physiotherapie, und Bewilligung ALLER Physio-Therapieformen, die helfen könn(t)en
- Psychotherapie, wenn gewünscht und als hilfreich empfunden
- Übernahme von Kosten und Fahrten zu Spezialisten (auch im Ausland), sowie der Behandlung dort
- Entwicklung individualisierter Pessare durch bildgebende Verfahren und Herstellung im 3D-Drucker
- Forschung und Entwicklung im urogynäkologischen Bereich
- Entwicklung standardisierter Operationsverfahren, die die Levatoravulsion ursächlich beheben und die physiologischen Strukturen wiederherstellen
- Zusammenarbeit aller momentan praktizierender und forschender Spezialisten, zwecks „Voneinander Lernens“ und Entwicklung einer haltbaren Operation!!! ohne Mesh und ohne Kontraindikation
- Übernahme aller entstehenden Operationskosten, auch zukünftiger
1 An diesem Punkt wäre es wünschenswert, wenn die Frau Hilfe von medizinischer Seite bekäme, doch allzu oft geschieht dies leider nicht. Die Verletzungen werden nicht diagnostiziert und nicht versorgt, was sich leider ungünstig auf das spätere Leben auswirkt.
2 Dies ist auch verständlich, denn die schwere Muskelfaserverletzung / muskuläre Verletzung ist ja nach wie vor unbehandelt.
Silke vom Lehn, aktualisiert am 01.02.2025