Über den Beckenboden

Was ist der Beckenboden überhaupt?

Viele Frauen spüren ihren Beckenboden erst dann, wenn er nach einer Geburt beschädigt worden ist. Die meisten Menschen mit intaktem Beckenboden fragen nie nach diesem Körperteil, sie benutzen ihn einfach intuitiv. Ja, benutzen, denn der Beckenboden ist einerseits etwas Passives – er hält die Organe im Becken dort, wo sie hingehören – aber er ist andererseits auch höchst aktiv: er unterstützt mit seinen Muskeln (und Schließmuskeln) die Ausscheidung von Urin und Stuhl und sorgt umgekehrt dafür, dass wir das alles festhalten können, wenn wir es nicht loslassen wollen. Der Beckenboden hat entscheidenden Anteil an unserer Sexualität, er ist der Ort, den wir als „Urogenitalregion“ bezeichnen. Da „unten“ kommt unser Urin aus der Harnröhre, verlässt unser Stuhl den Darm, aber da ist auch der Ausgang der Vagina (Scheide), da ist die Klitoris, da sind die Vulvalippen, da findet Sex statt – im und mit dem Beckenboden. Wenn also nach einer Geburt der Beckenboden nicht mehr intakt ist, dann versteht „frau“ Beschwerden wie Inkontinenz oder Schwächegefühl oder Verlust sexueller Lust am besten, wenn sie versteht, was der Beckenboden ist und was er kann.


Bild: Copyrigth Martina Lenzen-Schulte

Bild: Copyrigth Martina Lenzen-Schulte


Von außen schauen wir im oberen Bild auf eine Frau mit gespreizten Beinen und sehen von oben nach unten die Klitoris, die, darunter öffnen sich die inneren, kleinen Vulvalippen und zeigen den Ausgang der Harnröhre, darunter den Ausgang der Vagina, das ganze bildet – umrahmt von der Rundung der großen, äußeren Vulvalippen, den Vulvabreich (früher sagte man Schamhügel). Zwischen hinterem Vagina-Ausgang und dem Anus liegt der Damm. Schaut man im unteren Bild von oben auf den Beckenboden, so liegt hier die gelb-beige Harnröhre, die hinter der so genannten Symphyse (da wo in hellblau die Beckenknochen vorne zusammengehalten werden) oben im Bild. In der Mitte sehen wir die Vagina als hellrosa Muskelschlauch und anschließend hinten in Braun den Darm. Man erkennt sehr gut, dass der Darm von einer Muskelschleife (ein Teil des Levatormuskels) umschlungen ist. Dieser Levator ist vorne mit zwei Schenkeln am Beckenknochen befestigt, hinten am Steißbein am Ende der Wirbelsäule und dazwischen gibt es noch Muskelanteile, die sich rundherum im Becken ausspannen. Somit ist dieser Levator der wichtigste Beckenbodenmuskel, er zieht wie eine Hängematte von vorne nach hinten und trägt die größte Verantwortung für einen guten Beckenboden. Reißt er, ist das ein Hauptgrund für Senkungsbeschwerden.

Das Wort „Boden“ lässt uns denken, das sei etwas Flaches. Das stimmt nur zum Teil, hilft aber beim Verständnis, dass der Beckenboden unten etwas hält, für einen Abschluss da ist. Er setzt sich aus Muskeln (die etwas tun, sich anspannen oder loslassen) und Bindegewebe (das ist einfach da, füllt auf, bewegt sich nicht) zusammen. Da hindurch ziehen ganz viele Blutgefäße, Arterien und Venen, die das Gewebe ernähren und zum Beispiel dafür sorgen, dass die Schwellkörper der Klitoris sich mit Blut füllen. Da hindurch ziehen auch viele Nerven. Sie leiten unsere Empfindungen von der Haut der ganzen Region ins Gehirn. Zum Beispiel spüren wir so Berührungen, aber wir spüren auch, dass die Blase voll ist und wir auf die Toilette müssen. Gleichzeitig vermitteln die Nerven unsere Botschaften und Aktionen an die Muskeln und Organe: Wir wollen auf der Toilette den Darm entleeren? Dann senden wir einem Teil des Schließmuskels den Befehl: öffne dich, lass los! Oder wir möchten die Vagina ganz eng zusammenziehen beim Intimverkehr, auch diese Botschaft muss über Nerven erst unten ankommen. Sind diese Strukturen verletzt oder defekt, also die Muskeln gerissen, die Nerven „taub“, dann funktionieren die Dinge, für die sie da sind, nicht mehr. Wenn das Bindegewebe vernarbt, ist es starr und wir spüren zum Beispiel Zugkräfte (das schmerzt) an Stellen, wo diese Strukturen früher geschmeidig „mitgegangen“ sind und sich allen Positionen selbstverständlich anpassen konnten.

Bild: Copyrigth Martina Lenzen-Schulte


Bei der Frau gibt es, wie das Bild (als seitlicher Schnitt durch den Beckenboden) illustriert, drei Öffnungen im Beckenboden: der Ausgang der Harnröhre, die Vagina, der Darmausgang. Die Harnröhre verbindet die Harnblase (direkt hinter der hellblauen Symphyse) mit draußen, unser Urin, der sich in der Harnblase sammelt, muss mehrfach am Tag raus. Der Darm hinten in Braun hat einen komplizierten Auslass, den öffnen wir (durchschnittlich) etwa einmal am Tag für den Stuhlgang. Die Vagina in der Mitte ist unten immer offen, hier gibt es keinen eigentlichen Schließmuskel, sie mündet nach oben in den Muttermund, der den Eingang zur Gebärmutter markiert. Die Gebärmutter „liegt“ ein wenig nach vorne gebeugt über der Harnblase. All diese genannten Organe „ruhen“ auf dem Beckenboden, der somit einen Abschluss nach unten darstellt und zugleich den Durchlass nach außen. Wird der Beckenboden bei einer Geburt geschwächt, oder reißen Muskeln ein, dann ändert das – wie bei einem gezerrten oder gerissenen Sprunggelenk oder Meniskus – die Funktion. Der Halt ist weg, die Organe könnten nach unten sacken und sich gegenseitig wegdrücken oder abdrücken, die Schließfunktion kann beschädigt sein, so dass Urin oder Darminhalt (Winde und Stuhl) unkontrolliert entweichen können. Aber nicht nur (Über)Dehnungen des Bindegewebes oder Risse in den Muskeln können Schäden verursachen. Auch Nerven, die überdehnt werden oder abgedrückt werden etwa vom kindlichen Köpfchen, können Schaden nehmen und eine Zeit lang oder für immer taub bleiben. Die Leitung, die Verständigung mit dem Beckenboden ist in diesen Fällen „gekappt“ – an diesen Stellen sind wir „taub“, spüren weniger oder nichts mehr. Wir können unseren Muskeln auch nichts mehr befehlen, wenn die Verbindung von unserem Gehirn nach unten unterbrochen ist.

Das Kind kommt aus der Gebärmutter durch den Muttermund (der ragt in die Vagina und ist eigentlich immer zu, er geht nur bei der Geburt auf) nach draußen. Die Vagina oder Scheide liegt in der Mitte zwischen Darm und Harnblase, ist ein rund 10 Zentimeter langer Muskelschlauch, der innen mit einer Schleimhaut ausgekleidet ist. Dieser Schlauch ist dehnbar, jedoch nicht unendlich dehnbar. Wenn Frauen nach einer Geburt das Gefühl haben, sehr weit zu sein, hat das oft damit zu tun, dass besonders der Eingang der Vagina stark auseinanderklafft. Dies wiederum kann mit einem Levatorriss zu tun haben oder aber damit, dass der Bulbospongiosus-Muskel, der den Eingang der Vagina umgibt, gerissen ist – oder eher bei einem Dammschnitt durchgeschnitten wurde.


Bild: Copyrigth Martina Lenzen-Schulte


Hier ist zu sehen, wie der Muskulus Bulbospongiosus die Vulvaregion umschließt. Dammschnitte (in weiß) sollen die Vagina erweitern und unter der Geburt den Durchtritt des Köpfchens vereinfachen. Sie sind sehr umstritten. Denn sie können in unterschiedliche Richtungen gehen, sind aber immer problematisch. Entweder zielen sie direkt auf den Anus, dann kann der Darmschließmuskel mit einreißen. Oder man zielt zur Seite, dann durchtrennt man unweigerlich den Bulbospongiosus.

Die gesamte Region – von der Klitoris vorne oben bis zum Anus hinten – ist eine einzige erogene Zone für die Frau. Sie ist intensiv innerviert, gut mit Nerven bestückt so zu sagen, damit sie höchst empfindsam auf Berührung und andere Reize zu reagieren vermag. Allein die Klitoris versammelt an ihrer Spitze zahlreiche Nervenendigungen: das sind die Genitalkörperchen (auch Wollustkörperchen oder G-Körperchen genannt, weil sie als Hauptsensoren der Lust gelten) und die Vater-Pacini-Körperchen, die auf ganz bestimmte Vibrationsreize reagieren. Vibratoren als Sextools sind zum Beispiel exakt auf jene Frequenzen abgestimmt, die diese sensorischen Nervenendigungen optimal stimulieren. Während Vater-Pacini-Körperchen auch sonst im Körper anzutreffen sind (auf Fingerkuppen zum Beispiel), sind Wollustkörperchen ganz charakteristisch für die Klitoris und die Peniseichel und reagieren vor allem auf Berührung und gleitenden Druck. Bei der Frau sitzen sie an der Klitoriseichel doppelt so dicht wie an der Penisspitze. Sowohl die Peniseichel als auch die der Klitoris weisen außerdem zahlreiche andersgeartete Nervenendigungen auf, rund 8000 an der Zahl. Da aber die Oberfläche der Klitoriseichel viel kleiner ist, verschaffen die sensorischen Nervenendigungen einer Frau eine 50fach höhere Sensibilität.

Deshalb ist der Nerv, der von der Klitoris wegführt und all die Eindrücke von der Klitoris ins Gehirn leitet, drei bis viermal so dick wie der entsprechende Nerv beim Mann. Er ist sogar so dick, dass diese ungewöhnliche Nervenmasse Genitalforscher immer wieder in Erstaunen versetzt hat. Aus diesem Grund ist die Klitoris einzigartig empfindlich unter allen menschlichen Organen. Interessanterweise kommen die Genital- oder Wollustkörperchen nicht einmal in allen Anatomiebüchern vor. Wichtig ist zudem zu wissen, dass nicht nur die Klitoris über diese Lustantennen verfügt. Diese liegen verteilt in der gesamten erogenen Zone des Beckenbodens, beispielsweise im Bereich der Vulva um den Scheidenvorhof, hinten an der Scheidenmitte, wo diese in den Damm übergeht, um den Austritt der Harnröhre und in der Analzone. Alles, was von diesen Antennen an Empfindungen empfangen wird, wird von Nerven weitergleitet, die sich in Geflechten bündeln, und schließlich über die dickeren Verzweigungen des Beckenbodennerven – N. pudendus – in das Rückenmark münden: So gelangt unsere Erregung ins Gehirn. Verletzungen von Haut und Nerven, Vernarbungen, können mithin dieses einzigartige und sonst nirgends in dieser Intensität vorhandene Erregungssystem empfindlich stören.

Das ist ein Überblick über die wichtigsten Strukturen und Funktionen des weiblichen Beckenbodens. Somit wird verständlich, dass Beschädigungen des Gewebes Beschädigungen der Funktion zur Folge haben. Um sich überhaupt im Klaren darüber zu werden, was bei der Geburt womöglich verletzt worden ist, braucht man eine ungefähre Vorstellung davon, was der Beckenboden ist. Aber ebenso, um mit Therapeutinnen und Therapeuten über verschiedene Behandlungsverfahren sprechen zu können.

mls, aktualisiert am 01.02.2025